Lilith


 

Nachdem Gott den ersten Menschen geschaffen hatte Adam, begehrte dieser, nicht allein zu sein. So erschuf Gott ein zweites Wesen und gab ihm den Namen Lilith. Lilith war eine Frau, und sie fragte ihren Schöpfer, was weiter mit ihnen passieren würde.

"Ihr werdet älter werden und sterben," antwortete Gott.

"Sterben? Was ist das?" fragte Lilith verwundert.
"Der Tod setzt eurem Leben ein Ende. Alles in meinem Universum wird von etwas anderem begrenzt. So habe ich es nun einmal bestimmt, und so soll es auch sein!"
erklärte Gott.
Gut! Dann möchte ich jetzt schon wissen, wie es ist, wenn ich tot bin, erklärte Lilith.
Gott wunderte sich und fragte: "Warum willst du das wissen?"
"Um mich entscheiden zu können, ob sich das Leben, das ich von dir erhalten habe, auch wirklich zu leben lohnt", antwortete die Frau.
"Gut! Ich räume dir diese Möglichkeit ein, Lilith", versprach Gott.

Er schnippte mit den Fingern, und Lilith fiel tot zu Boden. Adam klagte um seine tote Frau, aber Gott beruhigte ihn.

Es ist nur für eine kurze Weile, Adam. Dann gehört sie wieder zu dir! Adam nickte traurig und fügte sich Gottes Willen. Eines Morgens, als Adam nicht mehr damit rechnete, kehrte Lilith zu ihm zurück. Sie sah aus wie immer und lächelte ihren Mann geheimnisvoll an.
"Nun, Lilith", sagte Adam, "sag mir, wo bist du gewesen, und wie ist es dir dort ergangen?"

Die Frau runzelte die Stirn. Sie schien nachzudenken.
"Wenn ich es mir recht überlege, kann ich es dir gar nicht so genau beschreiben, Adam. Deshalb will ich dir ein Beispiel geben. Wenn du die Pflanzen um dich herum beobachtest, dann siehst du diese wachsen, blühen, vergehen und nach einiger Zeit wiederkommen."

"Ja, aber wo sind sie gewesen, bevor sie wiederkamen, Li­lith?"

"Ist das wichtig zu wissen, Adam? Ist nicht vielmehr wichtiger, daß sie überhaupt wiederkommen?"

"Das ist ein Versprechen dessen, der alles so gemacht hat," entgegnete Adam, "aber für mich ist es ungenügend."

"So ist nun einmal der Kern deines Wissens, lieber Mann,"  antwortete Lilith.
"Und ich muß dich enttäuschen, denn mehr als Zweifel wirst du niemals im Leben ernten. Dein Wissen ist so geartet. Es drückt nur dich aus, nichts anderes. Aber erhalten hast du es von Gott. Dorthin kehrt es zurück, das ist gewiß. Du hast dem, was du von ihm erhalten hast, nur deine ureigene Farbe gegeben. Doch damit machst du es für dich nicht besser. Du wertest es nur neu."

"Und was soll ich deiner Meinung nach tun?"

Lilith zuckte die Achseln.

"Alle Strahlen kommen von der Sonne und führen uns dorthin zurück. Gräme dich nicht! Sorge dich nicht! Denk nicht zuviel nach! Zweifle nicht zu sehr! Laß dich nicht niederdrücken! Sei heiter und unbeschwert!"

Adam aber starrte Lilith an und rief nach Gott.

"Was willst du, Adam?"

"Ich will eine neue Frau!"

"Weshalb? Du hast doch eine!"

"Sie ist nicht von meiner Art. Du hast sie aus Meer gemacht und nicht wie mich aus Lehm."

"Einverstanden," sagte Gott.
"Ich werde sie von dir nehmen, die neue soll Eva heißen."

"Und wird sie auch wie ich sein?"

"Bestimmt! Sie wird dich lehren zu erkennen."

"Wen?"

"Dich selbst, Adam,  Du wirst um dich kreisen und dir die Welt zurechtlegen, wie sie zu sein hat."

"Das ist gut, mein Schöpfer. Dafür hast du sie mir ja schließlich gegeben."

"Mhmhmhjaa," gestand Gott zögernd.

"Und Lilith schickst du fort, nicht wahr?"

"Sie ist bereits fort, Adam."

"Sie war keine gute Frau. Du hast sie aus dem Stoff des Meeres und der Träume gemacht. Sie wollte mich im Ungewissen belassen."

"Ich hielt euch beide für ein gutes Paar. Ihr solltet euch wunderbar ergänzen."

"Das haben wir aber nicht, Schöpfer der Welt. Sie wollte mir nichts sagen."

"Eva wird anders sein. So wie du!"

"Dann wird sie sowohl mich als auch dein Paradies zu schätzen wissen?"

"Wir werden sehen, Adam," antwortete Gott lächelnd. Und der Schöpfer ging an den Ort zurück, den er für sich reserviert hatte.

"Du kommst spät," sagte Lilith.

"Ich habe Adam eine neue Frau gegeben. Er wünschte sie sich von mir. Nun kann ich endlich mit dir zusammensein, so wie ich es mir immer erträumt habe."

"Aber du hast mich zuvor weggegeben, mein Schöpfer!"

"Ein Gott, der nicht gibt, ist nicht wert, so genannt zu werden."

"Dafür liebe ich dich auch um so mehr," gestand Lilith.

"Das wundert mich nicht," sagte Gott, "denn wir beide sind von derselben Art. Adam hat es nicht erkannt, und deshalb schickte er Dich weg. Zu meinem und seinem Glück," gab Gott zu,
"aber das wird er erst erfahren, wenn er tot ist und erkennt, warum das Feld ewig fruchtbar ist."

"Was hättest du eigentlich getan, wenn er mich behalten hätte?"

Gott wiegte seinen Kopf nachdenklich hin und her.
"Ihr wäret niemals gestorben. Und es wäre euch nicht aufgefallen, weil ihr nicht gewußt hättet, wann etwas zu Ende geht."

"Und ist es jetzt besser so, Schöpfer des Universums?"
 
"Eindeutig ja! Und zwar für alle Beteiligten!"

"Ich bin bei dir, und zugleich werde ich in Adams Träumen sein,"
sagte Lilith. "Denn Gott gibt denjenigen Nüsse, die keine Zähne haben."

"So könnte man es sehen, Lilith," schmunzelte der Herr des Weltalls und der Menschen. Und Gott sah, daß alles gut war, und liebkoste zärtlich seine Schöpfung.

 

(Geschichte aus einem Buch, welche mir Saardenee geschickt hat)